Die Gemeine Keiljungfer ist Libelle des Jahres 2017

Berlin: Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Gesellschaft der deutschsprachigen Odonatologen (GdO) haben die Gemeine Keiljungfer (Gomphus vulgatissimus) zur Libelle des Jahres 2017 gekürt.

Die Gemeine Keiljungfer steht stellvertretend für eine Gruppe von Libellenarten, die sehr stark oder ausschließlich an Fließgewässer als Lebensräume gebunden sind und die in den vergangenen Jahren fast durchweg eine positive Bestandsentwicklung zeigen. Sie unterstreichen damit, dass die Anstrengungen zur Reinhaltung und Renaturierung unserer Bäche und Flüsse von der Quelle bis zur Mündung sinnvoll und erfolgreich sind. Auch die Gemeine Flußjungfer galt vor ca. 20 Jahren noch in vielen Teilen Deutschlands als selten und gefährdet oder sogar als vom Aussterben bedroht. Ihre Bestände haben aber in ganz Deutschland wieder zugenommen, so dass die Art aktuell deutschlandweit auch nicht mehr als gefährdet gilt.
Die Art schlüpft sehr synchron ab Anfang Mai an den Ufern kleiner und großer Fließgewässer. Schon ab Mitte Juli gibt es nur noch einzelne Nachzügler und ab Mitte August ist die Art meist nicht mehr zu beobachten (manchmal kann man noch „alte Kämpen“ finden, s. Foto). Überhaupt ist sie nicht einfach zu beobachten, da sie meist an eher unzugänglichen Gewässerufern oder über den Wasserläufen fliegt oder sich weit vom Gewässer entfernt. Hinzu kommt die Verwechslungsgefahr mit ein paar nah verwandten und recht ähnlich aussehenden Arten wie der Westlichen oder der Asiatischen Keiljungfer. Die rein schwarzen Beine ohne einen hellen oder gelben Längsstrich sind dann für den Fachmann ein unverwechselbares Merkmal der Gemeinen Keiljungfer. Nachweisen lässt sich die Art aber am besten durch die Exuvien (die letzte Larvenhaut, die nach dem Schlupf der Tiere am Schlupfort übrig bleibt). Man findet sie waagerecht auf Steinen am Ufer oder senkrecht in der Ufervegetation, mal an Hochstauden wie z.B. Brennnesseln oder auch am Stamm von Ufergehölzen bis in einige Meter Höhe. Manche Larven wandern auch mehrere Meter vom Ufer weg, eine Schutzstrategie vor Wellenschlag, dem an manchen schiffbaren Fließgewässern (z.B. dem vielbefahrenen Rhein) dennoch etliche Tiere beim Schlupf zum Opfer fallen.

Die Libelle des Jahres 2017 gehört zur Familie der Gomphidae – den Flußjungfern, einer besonderen Gruppe der Großlibellen. Das auffälligste Alleinstellungsmerkmal dieser systematischen Artengruppe ist die Stellung der Augen zueinander. Während bei den Kleinlibellen der Kopf hantelförmig ist und die beiden kugelförmigen Facettenaugen weit auseinanderstehend außen sitzen und bei allen anderen Vertreten der Großlibellen die beiden Facettenaugen sich wenigstens an einer Stelle treffen, besteht bei den Flußjungfern immer eine Lücke zwischen den beiden Augen. Die Vertreter der Gattung Gomphus zu der auch die Gemeine Keiljungfer zählt ist durch eine schwarz-gelbe Körperzeichnung charakterisiert und so zum Beispiel von der teilweise in den gleichen Lebensräumen vorkommenden Grünen Flußjungfer (Ophiogomphus cecilia), die eine deutlich grün gefärbte Brust aufweist, gut zu unterscheiden. Die Entwicklung der Larven im Fließgewässer kann unterschiedlich rasch verlaufen und ist neben dem Temperaturregime des Abflusses auch vom Nahrungsangebot abhängig, meist benötigen die Larven zwei Jahre von der Eiablage bis zum Schlupf.

Die Gemeine Keiljungfer besiedelt ein weites Spektrum an Fließgewässern von schmalen Bachläufen bis zum großen Hauptlauf in der Stromtalaue, auch größere Stillgewässer mit Brandungszone oder durchströmten Bereichen werden genutzt. Die Larven besiedeln die Sohle wo sie im geeigneten Substrat eingegraben auf Nahrung lauern, die dann mit der für Libellen typischen Fangmaske (umgewandelten Mundwerkzeugen) ergriffen werden. Für die Eignung eines Fließgewässers spielen dabei auch das Substratangebot, eine relativ große Amplitude der Gewässergüte und ein naturnahes Abflussregime eine Rolle.

Kritisch sind beispielsweise zu einförmige Strömungsverhältnisse, da sie meist zu einem entsprechend eintönigen Substratangebot in der Sohle führen und die verschiedenen Larvenstadien keine geeigneten Bereiche finden, um sich eingraben zu können. Auch zu starke und plötzlich auftretende Abflüsse beispielsweise durch eine zu starke Versiegelung im Einzugsgebiet hervorgerufen, kann insbesondere bei kleineren Fließgewässern zu einem „Klospülungseffekt“ führen und ganze Larvenjahrgänge verdriften. Ebenso problematisch sind zu starke oder dauerhafte Verschmutzungen des Gewässers, die die Larven direkt beeinträchtigen oder das Interstitial in dem sie eingegraben leben zu sehr belasten und verändern. Es ist zur Zeit nicht einfach nachzuweisen, ob die positiven Entwicklungen durch die zahlreichen Fließgewässerrenaturierungen und die erfolgreichen Anstrengungen zur Verbesserung der Wasserqualität ausgelöst sind oder ob sie durch Effekte des Klimawandels mit günstigen Bedingungen für die hochmobilen und sehr ausbreitungsfähigen adulten Tiere begünstigt werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es eine synergistische Wirkung. Allerdings müssen auch diese Entwicklungen weiter kontrolliert werden. Die Gewässer sind keineswegs so rein, wie die offizielle Gewässergüte es erscheinen lässt. Gerade in Deutschland besteht eine Fracht von Medikamentenrückständen sowie Ausschwemmungen vor allem aus den landwirtschaftlichen Flächen von Bioziden aller Art, die einen schier unüberschaubaren Cocktail in den Fließgewässern erzeugen, der weit davon entfernt ist, geeignet überwacht zu sein. So sind auch die Auswirkungen auf die Gewässerfauna und -flora noch unzureichend bekannt. Ebenso ist es zukünftig möglich, dass neben den anthropogenen Wärmebelastungen von Flusswasser (bekannt z.B. im Bereich großer Kraftwerke) durch den Klimawandel auch die Temperaturen in den
Gewässern ansteigen. Dies hat Folgen für die Physiologie der Larven und ggf. auch auf die Fähigkeit zum synchronen Schlupf, was für Libellenarten von großer Wichtigkeit ist, damit sich die Partner
ausreichend wahrscheinlich finden können. So ist die Libelle des Jahres 2017 gleichermaßen ein Symbol für erfolgreichen Natur- und Umweltschutz wie ein Fingerzeig dafür nicht nachzulassen und die Lebensräume weiter wachsam zu kontrollieren. Wir können uns nicht auf Erfolgen ausruhen.

Seit 2011 wählen die Gesellschaft deutschsprachiger Odonatologen (Libellenkundler) und der BUND die „Libelle des Jahres“ aus, um auf die Vielfalt der Arten und ihre Bedrohung aufmerksam zu machen. Von den 81 heimischen Libellenarten stehen viele auf der Roten Liste.

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