Gemeinsam mit dem BUND kürt die GdO die Kleine Pechlibelle (Ischnura pumilio) zur Libelle des Jahres 2022. Traditionell gibt der BUND dies im Rahmen einer Pressekonferenz im Dezember in der Bundeshauptstadt Berlin bekannt. Diesmal ist eine Art ausgewählt worden, die zwar weit verbreitet, aber nirgends häufig ist. Die Kleine Pechlibelle macht es den Libellenkundlern nicht leicht. Oft tritt sie unverhofft wie „Phönix aus der Asche“ an neu angelegten bzw. frisch entstandenen Gewässern auf, ohne dass man weiß, wo sie hergekommen ist. Die Kleine Pechlibelle ist eine Pionierart, die darauf spezialisiert ist, sich früh in jungen Gewässern anzusiedeln. Hier kann sie bei guter Eignung der Gewässer für meist wenige Jahre größere Populationen aufbauen, von denen aus Individuen dann in die Umgebung ausstreuen und als neuen Trittstein das nächste Gewässer besiedeln. Junge Weibchen dieser Art sind durch eine lebhaft orange Farbvariante unverkennbar.
Mit der Wahl der Kleinen Pechlibelle zur Libelle des Jahres sollen drei Botschaften vermittelt werden:
Pionierarten wie die Kleine Pechlibelle sind auf dynamische Lebensräume in unserer Landschaft angewiesen. Hier sind es kleine Stillgewässer, die immer mal wieder neu entstehen müssen. Klassischerweise geschieht dies in naturnahen Auen, wo die Fließgewässer durch ihre Hochwässer sehr regelmäßig geeignete Strukturen entstehen lassen. Renaturierungen von größeren Bächen und Flüssen fördern diese Art. Typische Sekun därlebensräume sind Abgrabungen oder Steinbrüche, wo im laufenden Betrieb solche Gewässerstrukturen immer wieder neu entstehen. Die meist offenen, gut sonnenexponierten Kleingewässer weisen gewöhnlich wenig Konkurrenz durch andere Arten auf und die Kleine Pechlibelle kann neben ihrem einjährigen Entwicklungszyklus bei uns unter günstigen Bedingungen auch eine zweite Generation im Jahr hervorbringen (bivoltin). Der Klimawandel kann allerdings dazu führen, dass kleine Gewässer für solche Pionierarten zu rasch austrocknen oder verlanden. Die Förderung nachhaltig dynamischer Prozesse in der Landschaft ist daher ein wichtiger Schutzansatz für diese Spezialisten. Die Kleine Pechlibelle steht in einigen Bundesländern auf der Roten Liste der gefährdeten Arten und durch die besondere Lebensweise gibt es immer noch Kenntnisdefizite, die wir durch die hier angestrebte besondere Aufmerksamkeit für die Art reduzieren möchten.
Wie der Name „Kleine Pechlibelle“ vermuten lässt, gibt es tatsächlich auch noch eine „Große Pechlibelle“ (I. elegans). Diese Schwesterarten sind aber nur selten an der Größe auseinanderzuhalten, vielmehr gilt es genau nach den Unterscheidungsmerkmalen zu schauen, um die Arten exakt zu bestimmen. Die Lage einer „blauen Laterne“ (blau gezeichnete Körpersegmente am Ende des Hinterteils der Tiere) hilft hier weiter, man muss allerdings den Unterschied kennen und genau hinsehen. Wie so oft ist also auch bei den Pechlibellen, die so heißen, weil ihr Hinterleib bis auf die vorgenannte blaue Laterne pechschwarz ist, genaue und konzentrierte Beobachtung gefragt. Denn da die Große Pechlibelle unsere häufigste Kleinlibelle ist, können sich wenige Individuen der kleinen Schwesterart mühelos in einem großen Bestand von I. elegans „verstecken“, wenn man nicht aufmerksam ist.
Neben der Artbestimmung ist dann bei den Pechlibellen und besonders bei der Kleinen Pechlibelle die Variabilität der Individuen bemerkenswert. Vor allem die Weibchen durchlaufen während ihrer Reifung nach dem Schlupf deutliche Farbwechsel. Dies ist unter anderem wichtig, weil dadurch die Männchen sofort erkennen, mit wem sie sich paaren können und wo dies nicht fruchtbar ist. Libellen sind Augentiere und verfügen über ein sehr differenziertes Farbensehen. Sie besitzen viel mehr Farbrezeptoren als wir Menschen und können so Farben, die für uns einheitlich aussehen, noch nuanciert unterscheiden und auf diese Weise auch miteinander „kommunizieren“. Wir können also auch auf diesem Sektor noch einiges von anderen Tieren lernen.